Seit Jahrzehnten inzwischen wird Nahtoderfahrungen (NDE) ein ungebrochenes Interesse entgegengebracht. Das liegt vermutlich daran, dass solche Erfahrungen nicht so selten sind. Man schätzt, dass 4-8% der Bevölkerung einmal im Leben eine solche eindrucksvolle Erfahrung gemacht hat, wobei nicht immer tatsächliche Todesnähe oder Todesgefahr bestanden haben muss. Allein die persönliche Einschätzung daran, sich in einer solchen Situation zu befinden, kann zu einer NDE führen. Ein über die Eigenerfahrung hinausreichender Faktor für das anhaltende Interesse an diesen Erfahrungen ist die Tatsache, dass Berichte über solche Erfahrungen von vielen als starke Indikatoren für ein „Weiterleben der Seele“ nach dem körperlichen Tod gewertet werden. Diese besondere Qualität der NDE bringt auch viele Forscher dazu, nach konventionellen, non-transzendentalen Erklärungsmodellen für das Erleben zu suchen. Die hier vorgestellte Studie des Monats stellt eine solche konventionelle Erklärungshypothese dar, nach der NDE auf dem in der Biologie viel beobachteten Phänomen der Thanatose, also der Schreckstarre bzw. des Todstellreflexes basieren soll.
Mit der Studie einer dänisch-belgischen Forschergruppe wurden mehrere Fragestellungen verfolgt. Zunächst wurde das Auftreten der Thanatose im Tierreich untersucht. Danach wurde Datenbanken zu NDE nach menschlichen Angriffen und Unfällen sowie NDE und Thanatose nach Tierangriffen analysiert. Schließlich wurden noch Berichte von Überlebenden von Massenhinrichtungen und ähnlichen Gräueltaten auf NDEs untersucht und es wurde der Frage nachgegangen, ob NDEs förderlich für das Überleben solcher Situationen gewesen ist. Obgleich die Studie einige interessante Informationen liefert, zeigt sie meines Erachtens eine für solche evolutionsbiologischen Erklärungsansätze typische Verengung der Perspektive. Da beispielsweise NDEs bei Herzinfarkten nicht in das Erklärungsschema passen, werden sie als mehr oder weniger nutzlose phylogenetische Überbleibsel angesehen. Dennoch lohnt es sich, eine solche Position zur Kenntnis zu nehmen, um sich dann eine eigene Meinung zu bilden.