Der Autor der hier vorgestellten Studie des Monats, Flavio Geisshuesler, nimmt eine Kontroverse zwischen den beiden Religionswissenschaftlern Mircea Eliade und Ernesto de Martino zum Anlass, die Situation einer „Krise der Wissenschaft“, die gleichzeitig eine „Krise der Realität“ war, im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren. De Martino, ein italienischer Religionshistoriker, beklagte 1956 während einer parapsychologischen Tagung in Paris, dass sich Religionswissenschaftler zu wenig um die Frage der „Realität“ von Wundern kümmerten, was Eliade zu der kritischen Entgegnung bewog, dass die faktische Realität paranormaler Phänomene irrelevant für Religionswissenschaftler sei.
Geisshuesler weist auf de Martinos Beschäftigung mit dem Arzt und Parapsychologen Albert von Schrenck-Notzing (1862-1929), dem Biologen und Philosophen Hans Driesch (1867-1941) und dem Ethnologen Leo Frobenius (1873-1938) hin, die großen Einfluss auf dessen Arbeit hatte. Diese drei bedeutenden Wissenschaftler versuchten, am Rande des wissenschaftlichen Mainstreams empirische Befunde mit experimentellen Ansätzen und Theoriebildung zu verknüpfen, um zur Lösung der oben genannten Krisen beizutragen. De Martino selbst war stark an der ethnographischen Untersuchung parapsychologischer Phänomene interessiert, wie man sie beispielsweise in Berichten über Schamanen und ihre Fähigkeiten findet. Diesen Ansatz nannte er Ethno-Parapsychologie (etnometapsichica). Den kulturübergreifenden Zugang teilte er mit Mircea Eliade.