Mit solchen Pathologisierungen ist man inzwischen zwar vorsichtiger, aber dennoch verleitet die Ähnlichkeit der Symptome manche dazu, Parallelen auch in der Persönlichkeit von spiritistischen Medien und an dissoziativer Identitätsstörung leidenden Menschen zu sehen. In der Studie des Monats wurde dieser Frage nachgegangen. Sie wurde von den beiden brasilianischen Psychiatern Alexander Moreira-Almeida und Francisco Lotufo Neto sowie dem in Schweden lehrenden Psychologen Etzel Cardea durchgeführt. Brasilianische spiritistische Medien wurden mit verschiedenen diagnostischen Instrumenten untersucht und die Ergebnisse mit den entsprechenden Befunden von an dissoziativer Identitätsstörung leidenden Personen verglichen. Obwohl die Aussagekraft der Studie einige wichtige Einschränkungen enthält, auf die die Autoren in der Diskussion auch hinweisen - u.a. dass nämlich die Hauptvergleichsgruppen unterschiedlichen Kulturkreisen angehören -, kann man meines Erachtens den Autoren in der Interpretation ihrer Ergebnisse folgen, die eine Gleichsetzung der spiritistischen Besessenheit mit der dissoziativen Identitätsstörung verbietet.
Studie des Monats
Haben spiritistische Medien eine Neigung zur dissoziativen Persönlichkeitsstörung?
- Gerhard Mayer
Sieht man ein Trance-Medium in einem spiritistischen Setting in Aktion, so fühlt man sich in mancherlei Hinsicht an das Verhalten von Menschen mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung erinnert. Neben den äußerlichen Ähnlichkeiten der unkontrollierten Körperbewegungen gibt es weitere Parallelen zu diesem Krankheitsbild wie z.B. der Verlust der Erinnerung und des Identitätsempfindens. Dementsprechend wurde das Verhalten solcher Medien oft pathologisiert. In der historischen Schamanismusforschung etwa diagnostizierte man das seltsame Verhalten der Schamanen in Trance als "arktische Hysterie".