ZfA Band 10 (2010), Nr. 3
Historische Fallstudien zur Anomalistik
{slider Titelseite|closed}
{/sliders}
S. 202-236:
Editorial: Historische Fallstudien zur Anomalistik
{ln:Gerd H. Hövelmann}
S. 237-255:
Sargons Seeschlange
Ulrich Magin
{slider Zusammenfassung/Abstract|closed}
Zusammenfassung – In vielen kryptozoologischen Werken wird die erste Sichtung einer Seeschlange dem assyrischen König Sargon II. zugeschrieben, der sie auf seiner Reise nach Zypern entdeckt haben soll. Nicht ein einziges dieser Bücher führt für diese Behauptung jedoch eine Quelle an. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Suche nach dieser verborgenen Literaturstelle und erläutert ihr Ergebnis: Bei den Behauptungen handelt es sich um die schlichte Überinterpretation schlangenförmiger Fischdarstellungen auf einem Relief im Palast von Khorsabad. Dass diese glaubensgesteuerte Identifikation eines Aals in einer niemals überprüften außergewöhnlichen Behauptung mündete, muss als symptomatisch für viele ähnliche Untersuchungsgebiete gelten.
Schlüsselbegriffe: Sargon der Große – Sargon II – Seeschlange – Glaubensbereitschaft
Abstract – In many cryptozoological works, the first sighting of a sea serpent is attributed to the Assyrian king Sargon II. who allegedly spotted the creature on his journey to Cyprus. However, no single book gives a source for this claim. The article traces the search for that hidden item and details the eventual result: It was all a simple overinterpretation of a relief showing serpentine fishes in the palace of Khorsabad. That this belief-driven identification of an eel resulted in an extraordinary claim that was never ever checked by cryptozoologists is seen as exemplary for many other such fields of inquiry.
Keywords: Sargon the Great – Sargon II – sea serpent – disposition to belief{/sliders}
S. 256-286:
Albert von Schrenck-Notzing und Albert Moll: Eine historische Fallstudie zur Kontrolle epistemischer Devianz im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts
{ln:Andreas Sommer}
{slider Zusammenfassung/Abstract|closed}
Zusammenfassung – Kurz nach dem Tode von Albert von Schrenck-Notzing (1862-1929) veröffentlichte Albert Moll (1862-1939), Schrenck-Notzings ehemaliger Weggefährte in der frühen Hypnose- und sexualwissenschaftlichen Forschung, eine Abhandlung zur Psychopathologie von parapsychologischen Forschern. Sich weitgehend auf Schrenck als führenden Vertreter der deutschen Parapsychologie beschränkend, lautete das Ergebnis von Molls „Analyse“, dass Wissenschaftler, die für die Wirklichkeit von übersinnlichen Phänomenen wie Telepathie, Hellsehen, Psychokinese und Materialisationen einträten, an einem krankhaften „Okkultkomplex“ litten, der sowohl zur vollständigen Lähmung ihres Kritikvermögens als auch zur Vertuschung der offensichtlichen Betrügereien der untersuchten Medien führe. Dieser Beitrag skizziert Schrenck-Notzings Werdegang von einem international angesehenen Sexual- und Hypnoseforscher zum Wortführer der deutschen parapsychologischen Forschung, und er problematisiert Molls Angriffe auf Schrenck-Notzing und deren Rezeption in der akademischen und der Laienpresse.
Schlüsselbegriffe: Epistemische Devianz – Hypnotismus – intellektuelle Freiheit – Parapsychologie – physikalischer Mediumismus
Abstract – Shortly after the death of Albert von Schrenck-Notzing (1862-1929), his former colleague in hypnotism and sexology Albert Moll (1862-1939) published a treatise on the psychology and pathology of parapsychologists. Moll’s “analysis,” focusing on Schrenck as a prototype of a person suffering from an “occult complex,” concluded that parapsychologists vouching for the reality of supernormal phenomena such as telepathy, clairvoyance, telekinesis and materialisations, suffered from a morbid paralysis of their critical faculties, which made them cover obvious mediumistic fraud. Using Moll’s treatment of Schrenck-Notzing as a historical case study of boundary disputes in science and medicine, this essay traces the career of Schrenck-Notzing as a researcher in hypnotism, sexology and parapsychology, discusses Moll’s attacks on Schrenck, and problematizes the rhetoric of pathologization to police deviant epistemologies.
Keywords: Epistemic deviance – hypnotism – intellectual freedom – parapsychology – physical mediumship{/sliders}
S. 287-321:
Zwischen Szentismus und Okkultismus. Grenzwissenschaftliche Experimente der deutschen Marine im Zweiten Weltkrieg
Uwe Schellinger, {ln: Andreas Anton}, Michael Schetsche
{slider Zusammenfassung/Abstract|closed}
Zusammenfassung – Der Beitrag behandelt eine heute fast vergessene Episode der Militärgeschichte des Zweiten Weltkriegs, die aus grenzwissenschaftlicher Sicht von besonderem Interesse ist: Es geht um eine interdisziplinäre Experimentalgruppe innerhalb der Kriegsmarine des Dritten Reiches, die im Jahr 1942 Versuche zur Ortung feindlicher U-Boote und Geleitzüge mit Hilfe des so genannten Siderischen Pendels und anderer grenzwissenschaftlicher Methoden durchführte. Diese militärisch geleitete Abteilung bestand nach unserem heutigen Wissen zwar nur knapp ein Jahr lang, führte jedoch einige der zur damaligen Zeit bekanntesten Okkultisten und Grenzwissenschaftler zusammen. Historisch besonders bemerkenswert sind die Aktivitäten dieser Gruppe im Kontext des Versuchs der NS-Führung, nur wenige Monate zuvor (im Juni 1941) im Rahmen der „Sonderaktion Heß“ jeden Einfluss von Okkultisten, Geheimwissenschaftlern, Astrologen usw. auf das öffentliche Leben radikal auszuschalten. Wie unsere Forschungen zeigen, war diese Aktion jedoch mitnichten das Ende aller okkultistischen bzw. grenzwissenschaftlichen Aktivitäten im Dritten Reich; diese setzten sich vielmehr auch nach dem Juni 1941 in ganz spezifischen Kontexten fort. Entscheidend dabei war, dass die eingesetzten Praktiken der offiziellen nationalsozialistischen Weltanschauung nicht allzu eklatant widersprachen – und dass sie sich den Zielen der nationalsozialistischen Kriegsführung unterordneten. Die mögliche technische Verwertbarkeit hatte Priorität vor eventuellen ideologischen Bedenken. Entsprechend muss auch die Rolle von Okkultisten, Grenzwissenschaftlern und selbstdeklarierten Sensitiven im Dritten Reich differenzierter beurteilt werden als dies bislang geschehen ist: Sie waren, je nach Zeitpunkt und individuellem Schicksal, einmal Verfolgte, ein anderes Mal opportunistische Mitläufer und ein drittes Mal überzeugte Unterstützer des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Mit dem hier geschilderten Fallbeispiel soll deshalb die Frage nach der Rolle der Grenzwissenschaften und ihrer Vertreter im Dritten Reich neu in den Fokus gerückt werden.
Schlüsselbegriffe: Kriegsmarine – Nationalsozialismus – Pendelforschung – Radiästhesie – „Sonderaktion Heß“ – Wissenschaftlicher Okkultismus
Abstract – This article is about an almost forgotten episode of German marine history during the Second World War. It deals with an interdisciplinary experimental group in the German Navy during the Third Reich. In 1942 this group tried to locate enemy submarines and convoys by means of the so-called “Siderisches Pendel” [sidereal pendulum] and other parascientific methods. According to our current knowledge this military-led department existed only for less than a year, but led to a get-together of some of the most famous occultists and parascientists of the time. Historically, this seems to be in conflict with the “Sonderaktion Heß”, the Nazi’s “special action” response to the infamous Heß flight, that, only a few months previously (June 1941), was to ban any influence that occultists, parascientists and astrologers might conceivably have on German public life. According to our research that action was not the end of all occult and parascientific activities during the time of the Third Reich. Rather, these activities continued even after 1941 in a specific way. The prerequisite here was that these practices were performed in accordance with the Nazi ideology and could be exploited for warfare. However, the potential technical recoverability had priority over any ideological concerns. The role of occultists and parascientists during the time of the Third Reich must be judged in a more detailed way than has been done so far. Some of the protagonists were persecuted, others were followers of or believers in the Nazi system. In addition to its immediate documentary purpose, the present case study serves to refocus the relationship between occultism and national socialism.
Keywords: German Navy – national socialism – pendulum research – radiesthesia – Nazi “special action” response to Heß flight – scientific occultism{/sliders}
S. 322-346:
Fanny Mosers "Spuk". Sondierungen und Rekonstruktionen an drei historischen RSPK-Fallberichten
Eberhard Bauer
{slider Zusammenfassung/Abstract|closed}
Zusammenfassung – Der Artikel versteht sich als Beitrag zur Rezeptionsgeschichte historischer Spukfälle. Im Zentrum der Darstellung stehen drei klassische RSPK-Fallberichte, die bereits in Fanny Mosers Buch Spuk (1950) beschrieben werden und die in neuerer Zeit wieder Gegenstand historischer Rekonstruktionsversuche und publizistischen Interesses geworden sind, zum Teil aufgrund unerwarteter Funde neuer Archivalien und biographischer Dokumente. Es handelt sich um folgende Fälle: (1) Melchior Joller: Darstellung selbsterlebter mystischer Erscheinungen (1863); (2) Justinus Kerner: Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiete der Natur (1836); (3) Fanny Moser: „Fall der Chemikerin Frau Dr. A. Kornitzky in Berlin“ (1950). Insbesondere der „Fall Kornitzky“ wird ausführlicher dargestellt, da sich durch die Recherchen des Kulturhistorikers Heino Gehrts (1913-1998) reichhaltiges biographisches Quellenmaterial erhalten hat, das einen sinnvollen Brückenschlag zwischen der Lebensgeschichte der Berichterstatterin und der symbolischen „Sprache der Phänomene“ gestattet.
Schlüsselbegriffe: Fanny Moser (1872-1953) – Geschichte der Parapsychologie – Historische Spukforschung – Fall Joller (1863) – Fall Kerner (1836) – Fall Kornitzky (1950)
Abstract – This article contributes to the historiography of the reception of historical RSPK cases. It concentrates on three classical RSPK cases, which were already described in Fanny Moser’s book Spuk (1950) and which, in recent years, have become topics of attempts at a historical reconstruction and of public interest, partly as a consequence of the unexpected discovery of new archival material and biographical documents. The following cases are dealt with: (1) Melchior Joller: Darstellung selbsterlebter mystischer Erscheinungen (1863); (2) Justinus Kerner: Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiete der Natur (1836); (3) Fanny Moser: “Fall der Chemikerin Frau Dr. A. Kornitzky in Berlin” (1950). Especially the “Kornitzky Case” is presented in greater detail, due to the research of the cultural historian Heino Gehrts (1913-1998), which has led to rich biographical source material that allows to construct of a meaningful link between the life history of the experiencer and the symbolic “language of the phenomena.”
Keywords: Fanny Moser (1872-1953) – history of parapsychology – historical RSPK research – Joller Case (1863) – Kerner Case (1836) – Kornitzky Case (1950){/sliders}
S. 347-374:
Rezensionen
- Andreas Anton (2011): Unwirkliche Wirklichkeiten. Zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien
Rezensent: Ingbert Jüdt
Sammelrezension Ayahuasca-Literatur
Rezensent: {ln:Gerhard Mayer}
- Arno Adelaars, Christian Rätsch, Claudia Müller-Eberling (2006). Ayahuasca. Rituale, Zaubertränke und visionäre Kunst aus Amazonien.
- Marlene Dobkin de Rios, Roger Rumrrill (2006): A Hallucinogenic Tea, Laced with Controversy: Ayahuasca in the Amazon and the United States
- Beatriz Caiuby Labate; Isabel Santana de Rose; Rafael Guimaraes dos Santos (2008): Ayahuasca Religions: A Comprehensive Bibliography and Critical Essays
- Beatriz Caiuby Labate, Gustavo Pacheco (2010). Opening the Portals of Heaven: Brazilian Ayahuasca Music
- Jeremy Narby, Jan Kounen, Vincent Ravalec (2010): The Psychotropic Mind: The World According to Ayahuasca, Iboga, and Shamanism
- Peter Hattwig (2010). Orbs. Analyse eines Rätsels
Rezensent: Hans-Werner Peiniger
S. 375-380:
Abstractdienst / Literaturspiegel
{ln:Andreas Sommer}